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The later scientific work of Henry Poincaré. (English) JFM 59.0850.06

Rice Institute Pamphlet 20, 1-130 (1933).
Die Vortragsreihe gibt ein lebendiges Bild von Poincarés späteren Leistungen auf dem Gebiete der gewöhnlichen Differentialgleichungs-Systeme. Über die früheren Arbeiten hinaus dringt Poincarés Pionierarbeit vor allem in zwei Richtungen weiter: Die lokalen Verhältnisse in der Nähe eines singulären Punktes oder einer periodischen Lösung (Entwicklungs- und Konvergenzprobleme der Himmelsmechanik) und die gestaltlichen Verhältnisse der Lösungskurven im Großen, deren Kompliziertheit Poincaré zu seinen berühmten topologischen Untersuchungen veranlaßt hat.
Die lokalen Verhältnisse sind am einfachsten bei einem System von zwei Gleichungen \[ \dot x = X(x, y),\qquad \dot y = (x, y) (1) \] (\(X, Y\) analytisch, \(X = Y = 0\) für \(x = y = 0\)) zu studieren. Die singulären Punkte werden formal den linearen Termen in den Taylorreihen von \(X, Y\) gemäß klassifiziert. Von den vier bekannten Arten singulärer Punkte interessiert Poincaré vor allem der Fall des (formalen) Wirbelpunktes (beide charakteristischen Wurzeln sind komplex und vom Betrage 1). Falls \(X, Y\) rein linear in \(x, y\) sind, ist gerade der Wirbelpunkt in beiden Zeitrichtungen wirklich stabil. Poincaré erkannte jedoch, daß für allgemeine analytische \(X, Y\) dies nicht mehr richtig zu sein braucht. Die Entwicklung des Integrals der zugehörigen partiellen Differentialgleichung \[ XF_x + YF_y = 0 \] nach Potenzen von \(x, y\) \[ F = F_2 + F_3 + \cdots \] und die sukzessive Berechnung der \(F_i\) liefert noch die Bedingung, daß kein \(F_i\) ein “Säkularglied” enthält. Diese Bedingung ist auch hinreichend für die wirkliche Stabilität des (formalen) Wirbelpunktes. Dieses Ergebnis bildet den Auftakt zu Poincarés Untersuchungen über die wesentlich schwierigeren Stabilitätsprobleme in mehr als zwei Dimensionen. Im obigen Falle liegen die Verhältnisse einfacher, da man keine Konvergenzschwierigkeiten hat.
In drei Dimensionen ist bekanntlich Poincaré auf zusätzliche Schwierigkeiten gestoßen. Um die Verhältnisse in der Nähe einer periodischen Lösungskurve zu unter’-suchen, führt Poincaré zwei analytische Koordinaten \(x, y\) um die Kurve ein, so daß die Differentialgleichungen die Form (1) erhalten, wo \(X, Y\) jedoch die Zeit \(t\) explizit enthalten. Die periodische Lösung lautet dann \[ x = y = 0 \] Ein anderes von Poincaré eingeführtes Hilfsmittel ist die mit der Bewegung in der Nähe der periodischen Bewegung verbundene Schnittransformation \[ x'=f(x,y),\;y'=g(x,y);\;f(0,0) = g(0,0) = 0, (2) \] die zwei sukzessive Schnittpunkte \((x, y)\) und \((x', y')\) einer Kurve mit einer Schnittfläche miteinander verknüpft. Hadamard berichtet über Poincarés wichtige Ergebnisse zur Frage, inwieweit die linearen Tenne rechts in (2) das Verhalten der Iterierten in der Nachbarschaft von \(x = y = 0\) bestimmen. Unter sehr allgemeinen Verhältnissen fand Poincaré, daß die Iterierten sich analog verhalten wie im Falle rein linearer \(f\) und \(g\). Diese Ergebnisse sind nach Poincaré von anderen Autoren, z. B. Birkhoff, Hadamard und Lattés, vervollständigt und verfeinert worden. In den mechanisch interessanten Fällen, nämlich wo eine Integralinvariante existiert, sind jedoch die Verhältnisse nicht von der vorausgesetzten Allgemeinheit, da die charakteristischen Zahlen von (2) zueinander reziprok ausfallen. Hier hat man neben dem hyperbolischen Falle, wo beide Zahlen reell und \(\neq 1\) sind (er entspricht dem Falle des Sattelpunktes bei (1)), nur noch den elliptischen Fall, wo die linearen Tenne in (2) in einer Rotation um \(x = y = 0\) ohne Dehnung resultieren (er entspricht dem Wirbelfalle bei (1)). Gerade der letztere ist der interessanteste (man denke an den Spezialfall des Zentrumproblems in der Funktionentheorie), wichtigste (z. B. für das Stabilitätsproblem der Himmelsmechanik) und bei weitem schwierigste Fall, nämlich der Fall “formaler” Stabilität. Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden, je nachdem der Drehungswinkel \(\omega \) kommensurabel oder inkommensurabel ist. Bei der formalen Entwicklung des Integrals der partiellen Differentialgleichung treten im ersten Falle säkulare trigonometrische Tenne der Form \[ t\cos (at+b) \] auf (das Problem der kommensurablen mittleren Bewegung in der Astronomie). Im zweiten Falle treten im allgemeinen Säkularterme auf. In den mechanischen Fällen, wo eine Integralinvariante existiert, erkannte Poincaré (vorher auf anderem Wege Lindstedt), daß dies nicht der Fall ist. Im Gegensatz zum Wirbelfalle bei (1) garantiert dies jedoch nicht die wirkliche Stabilität, da die Reihenglieder die gefürchteten “kleinen Divisoren” enthalten, welche die Reihe im allgemeinen divergent machen. Diese Schwierigkeit liegt nicht in der Methode, sondern im Wesen des Stabilitätsproblems, das auch heute noch ungelöst ist.
Poincarés Untersuchungen über den Verlauf im Großen beginnen mit dem Studium eines Systems (2), allgemeiner eines stetigen Vektorfeldes auf einer geschlossenen Fläche, und gipfeln in dem Satze, daß die algebraische Anzahl der singulären Punkte gleich 2p-2 ist, wo \(p\) das Geschlecht der Fläche bedeutet. Hadamard gibt ferner einen kurzen Überblick über Poincarés rein topologische Leistungen, Einführung der Bettischen und Torsionszahlen, sowie der Fundamentalgruppe, sowie seine Anwendungen des Kroneckserschen Index auf dreidimensionale Vektorfelder.
Der Torus \((p=1)\) ist die einzige geschlossene Fläche, auf der ein Vektorfeld keine Singularität zu haben braucht. Poincarés Resultate in diesem Feilte werden ausführlich referiert. Man hat hier ein System (1), wo \(x\) (mod 1), \(y\) (mod 1) die Winkelkoordinaten auf dem Torus sind und \(X, Y\) von \(x\) und \(y\) periodisch mit der Periode Eins abhängen. Der wirklich interessante Fall ist der, wo eine der beiden Funktionen \(X, Y\) positiv ist. Dann kann die Strömung auf eine eindeutige stetige Transformation des Kreises auf sich (mit Erhaltung des Drehungssinnes) zurückgeführt werden: \[ \omega ' = \psi (\omega ),\;\omega (\text{mod }1),\;\psi (\omega +1)\equiv \psi (\omega ). \] Das wichtigste Resultat Poincarés ist die Einführung und der Existenzbeweis der Rotationszahl \(\mu \).
Das Verhalten der Iterierten hängt wesentlich davon ab, ob \(\mu \) rational oder irrational ist. Bekanntlich hat Poincaré alle hier möglichen Fälle klassifiziert und erkannt, daß neben den reinen Rotationen (topologisch gesprochen) noch andere Fälle auftreten können. Solche Fälle waren bei rationalem \(\mu \) leicht konstruierbar. Bei irrationalem \(\mu \) seidenen Poincaré solche Fälle nur bei “pathologischen” Funktionen \(\psi \) vorkommen zu können. Die hier von ihm aufgeworfene wichtige Frage ist vor wenigen Jahren von Denjoy beantwortet worden, der bewies, daß bei irrationalem \(\mu \) und genügend glattem \(\psi (\omega )\) die Transformation topologisch eine Rotation sein muß.
Im letzten Abschnitt beleuchtet Hadamard noch Levi-Civitàs Ergebnisse und die weitergehenden Resultate Birkhoffs im Falle \(f = x + \cdots,\;g = y + \cdots \) in (2). (IV 9, VI 3.)