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Über die Invarianten der Hauptgruppe. (German) JFM 45.0215.01

F. Klein (F. d. M. 4, 229 (JFM 04.0229.*), 1872) hat in seinem Erlanger Programm als algebraisch-geometrisches Hauptproblem aufgestellt; In einem \(R_{n-1}\) ist ein geometrisches Gebilde \(F\) und eine Kollineationsgruppe \(G\) gegeben; man soll die gegenüber \(G\) erhalten bleibenden Eigenschaften von \(F\) angeben. Man verstehe unter \(X_i\) die homogenen Koordinaten eines Punktes, unter \(\Pi_{ik}\) die einer Geraden resp. eines linearen Komplexes, unter \(\Pi_{ikl}\) die einer Ebene usf., endlich unter \(U_i^prime\) die eines linearen \(R_{n-2}\). Ferner sei \(f\) eine Form, d. i. eine ganzrationale Funktion der \(X_i, \Pi_{ik}, \Pi_{ikl}, \dots, U_i^\prime\) die in jeder sie enthaltenden Koordinatenreihe homogen ist. Eine endliche Anzahl von Gleichungen \(f^{(k)}=0 (k=1, 2,,\dots, m\geqq 1)\) definiere ein “Gebilde” \(F\) im \(R_{n-1}\); die \(f^{(k)}\) heißen die “Grundformen”. \(G\) sei eine Gruppe von Kollineationen der \(f^{(k)}\) ganzrationale Invarianten der Grundformen bezülich \(S\). Das Verschwinden von Invarianten \(I\) liefert eine invariante Eigenschaft von \(F\). Dann lautet das Problem: Man soll alle algebraischen Invarianten von \(F\) bezüglich \(S\) aufsuchen.
In erster Linie ist ein vollständiges System der ganzrationalen Invarianten \(I\) des Systems \(\Sigma\) der Grundformen \(f^{(i)}\) aufzustellen. Besteht insbesondere das System \(I_1, I_2, \dots\) aus einer endlichen Anzahl, so heißt es ein “endliches”. Daneben stellt sich der Begriff des vollständigen Formensystems. Man adjungiere dem Grundsystem \(\Sigma\) noch je eine Linearform \(\varphi^{(k)}\) der Koordinaten \(X_i, \Pi_{ik}, \dots, U_i'\), wodurch sich \(\Sigma\) zu \(\Sigma'\) erweitere.
Ein vollständiges Invariantensystem von \(\Sigma'\) deckt sich dann mit einem vollständigen Formensystem von \(\Sigma\).
Behufs Aufstellung eine vollständigen Invariantensystem von \(\Sigma\) bei allgemeiner projektiver Gruppe \(G\) sind einmal die Grundformen geeignet symbolisch darstellen; sodann kommen drei Sätze zur Anwendung: der erste und zweite Fundamentalsatz der symbolischen Methode und der Endlichkeitssatz von Hilbert (vgl. F. d. M. 25, 173 (JFM 25.0173.*); 1895). Sind die \(a_i, b_i, c_i\dots (i=1, \dots, n)\) Größen oder Symbole, die \(X_i\) kogredient sind, dagegen \(\alpha_i', \beta_i', \gamma_i^prime,\dots\) solche, die den \(U_i^prime\) kogredient (den \(X_i\) kontragredient) sind, so gibt es für die Invarianten der Linearformen \(\Sigma\alpha_i^primeX_i, \dots, \Sigma a_iU_i^prime, \dots\) nur die drei Typen \[ (1)\quad (ab\dots q), (\alpha'\beta'\dots\nu'), (a\alpha')=\sum a_i\alpha_i; \] die beiden ersteren \(n\)-reihigen Determinanten heißen Klammerfaktoren (Faktoren zweiter Art) und die Summen \((a\alpha')\) Linearfaktoren (Faktoren erster Art).
Der erste Fundamentasatz besagt dann, daß sich jede ganzrationale projektive Invarianten der Grundformen \(f\) aus Faktoren erster und zweiter Art aufbaut.
Vermöge des zweiten Fundamentasatzes ist jede Identität zwischen ganzrationalen Invarianten eine Folge von einfacheren “Nullidentitäten”, die fünf gewissen Grundtypen angehören.
Endlich spricht der Hilbertsche Satz aus, daß ein vollständiges System projektiver Invarianten endlich ist. Vermöge dieses Satzes muß die wiederholte Anwendung der beiden Fundamentasätze nach einer endlichen Anzahl von Schritten abbrechen.
Welche Modifikationen treten nun ein, wenn nicht die allgemeine projektive Gruppe \(G\) zugrunde liegt, sondern eine Untergruppe \(H\) von \(G\)? Dabei soll \(H\) durch eine \(H\) gegenüber invariante geometrische Figur \(\Gamma\) definiert sein. Insbesondere soll \(H\) die Hauptgruppe des \(R_{n-1}\) sein, also \(\Gamma\) das absolute Maßgebilde.
Dem Grundsystem \(\Sigma\) tritt nunmehr noch ein weiteres \(\Omega=(\varphi^{(k)}) (k=1, \dots, h)\) zur Seite, das seinerseits das Gebilde \(\Gamma\) festlegt.
Die Lösung der Aufgabe, ein volles Invariantensystem von \(\Sigma\) gegenüber \(H\) zu ermitteln, wird durch den “Adjunktionssatz” als plausibel nahegelegt: Man suche zu den Formen des erweiterten Systems \(\Phi=\Sigma+\Omega\) ein volles System von projektiven Invarianten und lasse hinterher alle jene Invarianten weg, die von den \(f\) gar nicht abhängen.
Dieser Satz muß aber erst bewiesen werden. Sicher ist freilich, daß jede simultane projektive Invariante der \(f\) und \(\varphi\), die deren Koeffizienten tatsächlich enthält, eine Invariante der \(f\) gegenüber \(H\) ist; aber es wäre auch die Umkehrung zu zeigen, daß auch jede Invariante der \(f\) bezüglich \(H\) entweder eine projektive Invariante der \(f\) allein oder eine projektive simultane Invariante der \(f\) und \(\varphi\) ist.
Ein Beweis des Adjuktionssatzes liegt erst für einige spezielle Fälle von Formen \(\varphi\) vor, so, wenn \(H\) die affine Gruppe ist resp. die affine Gruppe mit einem festen Punkt u. a. m., vor allem aber, wie der Verf. selbst gezeigt hat (F. d. M. 44, 133 (JFM 44.0133.*); 1913), für die Gruppe \(D\) der Drehungen (und Spegielungen) um den Anfangspunkt \(O\). Auf Grund der letzteren Tatsache werden nur für den Fall der Hautgruppe \(H\) drei Sätze abgeleitet, analog den oben für die allgemeine projektive Gruppe \(G\) aufgeführten, mit deren Hülfe es gelingt, ein vollständiges Invariantensystem aufzustellen.
Der erste Fundamentalsatz der symbolischen Methode lautet für (ternäre) Hauptinvarianten (inkl. Bewegungsinvarianten) \(K\):
Sind die Grundformen \(f\) durch die gestrichelten Reihen \(a', b', c', \dots, p', q',\dots\) symbolisch dargestellt, so ist jede ganzrationale \(K\) durch die Faktoren \((a'b'\dots p'q'), (a'b'\dots p'l'), (a'/b')\) darstellbar, wo \(l'\) die Reihe \(0 : 0 : \dots :0 : 1\) bedeutet.
Der zweite Satz sagt aus, daß jede Identität zwischen den \(K\) eine Folge von einfachen Identitäten ist, die drei gewissen Grundtypen angehören.
Drittens gelingt der Nachweis, daß man ein vollständiges System \(K_1, K_2,\dots\) stets so auswählen kann, daß die \(K\) projektive Invarianten des erweiterten Systems \(\Sigma\), \(\varphi^{(1)}=(XX), \varphi^{(2)}=(l'X)\) werden, woraus die Endlichkeit für das System der \(K\) folgt.
Gewisse Modifikationen treten ein, wenn man auf die ausschließliche Verwendung von gestrichelten Reihen verzichtet, und die \(f\) in der üblichen symbolischen Darstellung benutzt. Das einschlägige Verfahren gestaltet sich aber bei wachsendem \(n\) immer umständlicher; für ternäre Grundformen erweist sich eine glatte Durchführung noch als möglich.
Das besondere Ergebnis ist die Tabelle der 18 Hauptinvarianten einer quadratischen ternären Grundform \(f\), bestehend aus 18 Bildungen: 3 Invarianten, 4 Kovarianten, 5 Kontravarianten und 6 Zwischenformen.
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References:

[1] Vgl. F. Klein, Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen, Programm Erlangen 1872; wieder abgedruckt in Math. Ann 43, S. 63–100 (1893). · JFM 25.0871.01
[2] Vgl. hierzu A. Clebsch, Über eine Fundamentalaufgabe der Invariantentheorie, Abhandl. d. Göttinger Ges. d. Wissensch. 17 (1872).
[3] Vgl. meine Arbeit: Beweis des ersten Fundamentalsatzes der symbolischen Methode, Wiener Ber. 122, Abt. IIa (1913), wo sich ausführliche Literaturangaben finden.
[4] Vgl. meine Arbeit: Beweis des zweiten Fundamentalsatzes der symbolischen Methode, wie bei.
[5] Vgl. D. Hilbert, Über die Theorie der algebraischen Formen, Math. Ann. 36, S. 473–534 (1890). · JFM 22.0133.01 · doi:10.1007/BF01208503
[6] Vgl. F. Klein, l. c., Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen, Programm Erlangen 1872; ferner Enzyklopädie, III AB, 4b, 31 (G. Fano).
[7] Vgl. E. Study, Über Bewegungsinvarianten und elementare Geometrie I, Sitz.-Ber. Ges. Wiss. Leipzig 48, S. 649–664, (1896); ferner Geometrie der Dynamen, S. 123 (1903).
[8] Vgl. meine Arbeit: Die Invarianten der affinen Gruppe, Jahresber. der Deutschen Math.-Ver. 22, S. 192–209 (1913).
[9] Vgl. Deruyts, Essai d’une théorie générale des formes algébriques, Liège 1890, S. 52 ff.
[10] Vgl. E. Study, Über die Invarianten der projektiven Gruppe einer quadratischen Mannigfaltigkeit von nicht verschwindender Diskriminante, Sitz.-Ber. Ges. Wiss. Leipzig 49 (1897), S. 442–461.
[11] Vgl. meine Arbeit: Über Drehungsinvarianten, Denkschriften der Kais. Akad. d. Wiss. in Wien, 89 (1913).
[12] Vgl. meine Arbeit: Über Drehungsinvarianten, Denkschriften der Kais. Akad. d. Wiss. in Wien, 89 (1913).
[13] Vgl. die Anmerkung auf S. 583.
[14] Vgl. meine Arbeit: Drehungsinvarianten eines linearen Komplexes inR 2. Monatshefte Math. Phys. 15 (1914).
[15] Vgl. meine Arbeit: Über Bewegungsinvarianten, I. Mitteilung, Sitz.-Ber. Ak. Wien 122, Abt. IIa (1913).
[16] Vgl. wie oben, III. Mitteilung.
[17] Diese Endlichkeit kann auch aus einem Satze von L. Maurer erschlossen werden, demzufolge sich für jede Untergruppe der allgemeinen projektiven Gruppe ein endliches Invariantensystem ergibt. Vgl. L. Maurer, Über die Endlichkeit der Invariantensysteme, Sitz.-Ber. Ak. München 29, Heft II (1899).
[18] Es ist mir in letzter Zeit gelungen, den 1. Fundamentalsatz der symbolischen Methode für Hauptinvarianten auch für diejenige symbolische Darstellung der Grundformen auszusprechen, bei der gestrichelte und ungestrichelte Größen- und Symbolreihen verwendet werden. Vgl. meine demnächst erscheinende Arbeit: Über Bewegungsinvarianten, VII. Mitteilung, Sitz.-Ber. Ak. Wien 1914.
[19] Vgl. E. Study, Über Bewegungsinvarianten und elementare Geometrie, Leipziger Berichte 48, S. 649–664 (1896). Ferner meine Arbeit: Über Bewegungsinvarianten, III. Mitteilung, Wiener Berichte (1913).
[20] Vgl. meine Arbeiten: Über Bewegungsinvarianten, IV. und V. Mitteilung, Sitz.-Ber. Ak. Wien (1913), (1914).
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