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Über die Stellung der Definition in der Axiomatik. (German) JFM 42.0075.01

Von der Schärfe mathematischen Geistes geboren, ist die Mengenlehre allmählich in philosophisches Fahrwasser geraten und hat die zwingende Kraft, die der mathematischen Schlußweise innewohnt, zu einem Teile verloren. Die Mathematik sollte sich daher von dem Einflußder philosophischen Denkweise befreien. Sie mußhierzu aus der von Hilbert geschaffenen axiomatischen Methoden die letzte Konsequenz bezüglich der Stellung der Definition im axiomatischen Aufbau und in den mathematischen Entwicklungen ziehen. Von den allgemeinen Regeln des logischen Schließens sind für die Mathematik, abgesehen von den Regeln der deduktiven Schlußweise, der Satz des Widerspruchs und die auf kontradiktorischer Grundlage ruhende Einteilung eines mathematischen Objekts besonders wichtig. Die mathematischen Begriffe und Bezeichnungen sind kontradiktorischer Natur. Die Mathematik gestattet ausnahmslos die Methode des indirekten Beweises. Die Axiomatik, wie sie besonders Hilbert ausgebildet hat, geht von den Verknüpfungen und den in ihr enthaltenen Beziehungen, den Anordnungen und ihren Beziehungen aus und erfüllt die aus der Empirie und Phantasie stammenden Objekte, um sie mathematisch verwendbar zu machen, mit einem eindeutigen, vielfach völlig neuen Inhalt, so daßsie sich vollkommen logisch verhalten. Die axiomatischen Grundbegriffe selbst sind nicht definierbar; ihr Inhalt wird durch die Axiome unzweideutig festgelegt. Alle mathematischen Objekte aber werden durch Definitionen ihren Inhalte nach festgelegt. Durch Beweise ist zu zeigen, daßdie Existenz derjenigen Beziehungen, die in den Definitionen zum Ausdruck kommen, aus den zugrunde gelegten Axiomen gefolgert werden kann. Der Fortschritt der mathematischen Erkenntnis geht vorwiegend durch freie Bildung neuer Objekte und Beziehungen, die die schöpferische Phantasie schafft, und denen wir ebenfalls axiomatischen Charakter beilegen, vor sich. Diesen Definitionen von axiomatischem Charakter reihen sich die independenten Definitionen an, die sich zwar auf Begriffe axiomatischer Natur stützen, deren besonderer Inhalt aber nicht auf einem Lehrsatz oder einem Beweisverfahren, sondern auf freier Schöpfung beruht, und deren Existenz auf Grund eines an die Spitze gestellten Axiomsystems aus bereits vorhandenen Mengen nicht ableitbar ist. Damit ist es möglich, die Welt der mathematischen Objekte und Beziehungen so aufzubauen, daßsie sämtlich mittelbar oder unmittelbar durch Voraussetzungen und Annahmen axiomatischen Charakters gestützt sind, daßsie aber im übrigen nur in dem kontradiktorischen Gefüge der Mathematik ihre Schranke haben. Dagegen ist die Ausscheidung aller bloßen Wortdefinitionen aus der Mathematik anzustreben, und bei der Festlegung uneigentlicher Objekte, wie der Nullmenge, bedarf es stets der Nachweisung der Berechtigung ihrer Anwendung innerhalb eines Beweisverfahrens. Mathematisch definiert sich so z. B. die Identität als nur da vorhanden, wo die Eigenschaften, die den Inhalt der einen Definition bilden, sich als Folge derjenigen erweisen lassen, die in der andern Definition enthalten sind, und die Gleichheit als da gegeben, wo aus \(a=b\) und \(b=c\) auch \(a=c\) folgt. Schoenflies geht in der Mengenlehre selbst von dem Begriffe der “Grundbeziehung” aus, stellt die Axiome für den allgemeinen Teil der Mengenlehre auf und arbeitet auf eine reinliche Scheidung der Mengenlehre von der Philosophie und der Algebra der Logik hin.
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Full Text: EuDML