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Zur Invariantentheorie der Formen von \(n\) Variabeln. (German) JFM 41.0149.02

(Siehe JFM 41.0149.01) Im Gebiete der (projektiven) Invariantentheorie der Formen von \(n\) Variabeln ist der Formenzusammenhang noch wenig untersucht worden. Im binären und ternären Gebiete gelten die beiden Fundamentalsätze der symbolischen Methode, daß sich (I) alle invarianten Bildungen (Invarianten) symbolisch darstellen lassen, und daß (II) alle Relationen zwischen Invarianten erhalten werden lediglich durch wiederholte Anwendung weniger symbolischer Identitäten, ohne also aus dem Gebiete des Invarianten herauszutreten. Hieraus erwachsen die verschiedenen symbolischen und unsymbolischen Prozesse zur Erzeugung von Formen. Insbesondere baut sich die Reduktion der Formensysteme auf dem Satze der Verfasserin auf (F. d. M. 39, 158, 1908, JFM 39.0158.01), daß alle Faltungen erzeugbar sind durch Anwendung der beiden “kogredienten” Faltungen \((stu)\) und \((\sigma\tau x)\), die aus einem symbolschen Produkte \(s_xt_xu_\sigma u_\tau\) hervorgehen. Im Gebiete von \(n\) Variabeln gilt schon der Satz (I) nur bedingt. Hier treten außer den Punktkoordinaten \(x\) und den zu ihnen kontragredienten \(u\) noch Reihen von Zwischenvariabeln auf, nämlich einerseits Reihen \(p_{\varrho}\), deren Elemente die Minoren aus \(\varrho\) Reihen \(x\) sind, andererseits Symbolreihen \(S^{\varrho}\), deren Elemente sich verhalten wie Minoren aus \(\varrho\) Reihen von Größen \(s\), die den \(u\) kogredient sind.
Invariante Formen können nun symbolisch durch Determinanten nur dann dargestellt werden, wenn die \(S^{\varrho}\) in die Reihen \(s\) aufgelöst und diese in verschiedene Determinanten verteilt werden, und nur solche Determinantenaggregate haben eine reale Bedeutung, die von den \(S^{\varrho}\) abhängen; es läßt sich aber nicht mehr übersehen, welche Aggregate das leisten, womit zugleich die Grundlage aller weiteren Sätze des binären und ternären Gebiets in ihrer Ausdehnung auf höhere Gebiete erschüttert wird.
Es handelt sich um ein Prinzip, eine in den Reihen \(S^{\varrho}\) explizite symbolische Darstellung zu gewinnen. Dies erhält man auf Grund des bekannten Brillschen Satzes (F. d. M. 3, 314, 1871, JFM 03.0314.01) über die Proportionalität von Determinanten korrespondierender Matrizen. Damit wird jeder Symbolreihe \(S^{\varrho}\) eine andere \(S_{n-\varrho}\) zugeordnet, die sich verhält wie aus \(n-\varrho\) den \(x\) kogredienten Reihen zusammengesetzt. Hat man daher \(\varrho\) Reihen \(v^{(1)},\dots,v^{(\varrho)}\), und \(\varrho\) kontragrediente Reihen \(y^{(1)},\dots,y^{(\varrho)}\), und wird die Summe über die Produkte entsprechender Determinanten als Matrizenprodukt \((v^{(i)}\mid y^{(i)})(i=1,2,\dots,\varrho)\) bezeichnet, so ist jedem solchen Matrizenprodukte eine Determinante zugeordnet, und umgekehrt läßt sich jede Determinante in ein Matrizenprodukt von vorgegebener Reihenzahl \(\varrho\) verwandeln. Hiermit werden Determinante und Matrizenprodukt gleichwertig, und der erste Satz der Symbolik lautet: “Alle invarianten Bildungen lassen sich explizit durch Matrizenprodukte symbolisch darstellen.” Denn aus zwei Symbolreihen \(S^\sigma,T^\tau\) läßt sich mit Hülfe von Variabelnreihen ein die \(S\) und \(T\) explizit enthaltendes Matrizenprodukt bilden, und dieser Prozeß stellt die Erweiterung des binären und ternären Faltungsprozesses dar. Zum Beweise des obigen “ersten” Satzes hat man, in Erweiterung des “zweiten” Satzes der binären und ternären Symbolik, die Gesamtheit der unabhängigen unzerlegbaren Identitäten aufzustellen, bei denen alle Reihen \(S^\varrho,p_\varrho\) als unzerlegbar betrachtet werden. Diese gehen aus den bekannten, nur Reihen \(x\) und \(u\) enthaltenden Identitäten hervor, indem man den Determinantenmultiplikationssatz ersetzt durch ein System von Produktsätzen für Matrizen. So gelangt man zu zwei (dualistischen) Hauptformeln; bei den allgemeinsten Zerlegungsidentitäten wird eine Reihe \(p_\varrho\) in die einzelnen Reihen \(x\) zerlegt. Endlich gilt für den Faltungsprozeß ein analoger Satz wie im ternären Gebiet, daß sich alle Faltungen durch sukzessive Anwendung gewisser einfachster erzeugen lassen. Es beruht das darauf, daß man die allgemeinsten Formen durch “Normalformen” ersetzen kann, die bei Anwendung aller invarianten Differentialoperationen identisch verschwinden. Diese Operationen gehen aus den Faltungsprozessen durch Ersetzen der Symbolreihen durch Differentialsymbole hervor.
Nach dieser Skizzierung der allgemeinen Grundlagen sei noch näher auf den Aufbau der Untersuchung eingegangen.
In §1 werden Bezeichnungen und Definitionen festgesetzt. Vermöge des Satzes über korrespondierende Matrizen wird einer jeden Reihe \(p_\varrho\) eine zweite \(q_{n-\varrho}\) eineindeutig zugeordnet. Die allgemeinsten Formen \(F\) lassen sich nach einem Fundamentalsatze von Clebsch (F. d. M. 4, 62, 1872, JFM 04.0062.03) zurückführen auf solche, die von jeder der \(n-1\) Reihen \(p_\varrho\) höchstens eine enthalten; dieselben lassen sich dann in den Symbolreihen \(S^\varrho\) übersichtlich darstellen. Dabei werden die \(S^\varrho\) so normiert, daß sie sich verhalten wie die Determinanten eine \(\varrho\)-reihigen Matrix, deren Reihen \(s^{(i)}\) zu den \(x\) kontragredient sind.
Damit ist dann auch jeder Reihe \(S^\varrho\) eine andere \(S_{n-\varrho}\) eineindeutig zugeordnet, und jeder Faktor der Form \(F\) ist vier äquivalenter symbolischer Darstellungen durch Matrizenprodukte fähig. Die zu den \(p\) kontragredienten (d. h. entsprechend aus den zu den \(x\) kontragredienten Variabelnreihen \(u\) gebildeten) Größen werden mit \(q\) bezeichnet, die den \(x\) kogredienten Symbolreihen durch kleine griechische Buchstaben \(\sigma,\tau ,\alpha,\beta\), usw., die den \(u\) kogredienten durch kleine lateinische Buchstaben \(s,t,a,b\), usw., alle übrigen Symbolreihen durch große lateinische Buchstaben mit Gewichtsindex: \(S^\varrho,T^\tau,A^\varrho\), resp. \(S_{n-\sigma},T_{n-\tau},A_{n-\varrho}\).
In §2 wird die Darstellung durch Matrizenprodukte näher untersucht, und der Satz I bewiesen: “Alle invarianten Bildungen lassen sich symbolisch durch Matrizenprodukte darstellen, und umgekehrt sind alle Matrizenprodukte invariante Bildungen”. Von jetzt ab tritt der Begriff der “expliziten” Darstellung in den Vordergrund; in eine solche gehen nur die Reihen \(S^\sigma,T^\tau,\dots\) selbst ein, oder eindeutig aus diesen ableitbare Reihen \(R^\varrho\), während die einzelnen Teilreihen \(s,t,\dots\) nicht mehr auftreten.
Aus zwei Symbolreihen \(S^\sigma,T^\tau\) wird nun unter Zuhülfenahme von Variabelnreihen eine alle Reihen explizit enthaltende invariante Bildung der Grundform \(F\) als ein gewisses Matrizenprodukt gebildet (Faltungsprozeß); eine hierin eingehende ganze positive Zahl \(\lambda\) heißt der “Defekt” der Faltung.
Die Matrizendarstellung erlaubt, die grundlegenden quadratischen Relationen zwischen den Elementen einer Reihe \(p_\varrho\), also die in den Koeffizienten von \(F\) linearen Identitäten, denen die \(S^\varrho\) genügen, invariant aufzustellen. Diese Identitäten sind aber auch hinreichend zur Charakterisierung der \(p_\varrho\).
In §3 wird der zweite Fundamentalsatz der Symbolik abgeleitet, indem die Gesamtheit der irreduziblen unzerlegbaren Identitäten aufgestellt wird; bei denen alle Reihen \(S^{\varrho}, p_{\varrho}\) als unzerlegbar angesehen werden. Diese allgemeinen Identitäten gehen mittels der Matrizendarstellung aus den von Pascal (F. d. M. 20, 114, 1888, JFM 20.0114.01) gegebenen speziellen, die nur Reihen \(x\) und \(u\) enthalten, hervor und stellen eine direkte Übertragung der von Study (F. d. M. 21, 111, 1889, JFM 21.0111.03) für das ternäre Gebiet gegebenen dar.
Hierauf baut sich in §4 der allgemeinste Fall der Identitäten zwischen beliebigen Symbol- und Variabelnreihen auf; diese heißen “Zerlegungsidentitäten”, da in ihren Schlußausdrücken eine Reihe \(p_{\tau}\) in ihre einzelnen Reihen \(y^{(i)}(i=1,2,\dots,\tau)\) zerlegt auftritt.
In §5 werden die Zerlegungsidentitäten in expliziter Form aufgestellt; mit ihnen ist die Gesamtheit der unzerlegbaren Identitäten erschöpft. Daß diese Identitäten die allgemeinsten ihrer Art sind, geht daraus hervor, daß die einzelnen Reihen in bezug auf Gewicht und Anzahl keiner Beschränkung mehr unterliegen. Als Spezialfall ergibt sich die Clebschsche Entwicklung einer Form mit zwei kogredienten Reihen \(p_{\sigma},p_{\sigma'}\) nach Elementarkovarianten.
Mit diesen erweiterten Hülfsmitteln wird in §6 der Fundamentalsatz I von der symbolischen Darstellbarkeit durch Zufügung des Expliziten zum Abschluß gebracht, d. h. alle invarianten Bildungen beliebiger Grundformen lassen sich explizit durch Matrizenprodukte darstellen. Zur Erzeugung aller invarianten Bildungen genügt es daher, die Symbolreihen unter Zufügung von Variabelnreihen zu allen möglichen Matrizenprodukten zu vereinigen. Dabei werden sukzessive je zwei Symbolreihen zu einem Matrizenprodukt vereinigt (Faltungsprozeß). Aus dem symbolischen Faltungsprozeß gewinnt man die invarianten Differentiationsprozesse, wenn man die Symbolreihen \(S^{\sigma},T_{n-\tau}\) durch die Reihen von Differentiationssymbolen \(\frac{\partial}{\partial p_{\sigma}},\frac{\partial}{\partial q_{n-\tau}}\) ersetzt, wobei jedem Produkte \(\frac{\partial}{\partial p_{i_1\dotsi_{\sigma}}}\cdot\frac{\partial}{\partial q_{j_1\dots j_{n-\tau}}}\) die reale Bedeutung \(\frac{\partial^2}{\partial p_{i,\dots i_\sigma}\partial q_{j,\dots j_{n-\tau}}}\) zukommt. Die invarianten Bildungen lassen sich somit auch durch wiederholte Anwendung solcher Differentiationsprozesse erzeugen.
Da bei jeder Faltung das Gesamtgewicht der Form, d. i. die Summe der Gewichte der einzelnen Variabelnreihen, um eine bestimmte Zahl abnimmt, so folgt hieraus, unabhängig vom allgemeinen Endlichkeitsbeweis, die Endlichkeit der “Formenreihe”, d. h. der Gesamtheit der in den Koeffizienten linearen invarianten Bildungen einer gegebenen Grundform.
In §7 wird ein von Mertens (F. d. M. 21, 122, 1889, JFM 21.0122.01) für das quaternäre Gebiet gegebener Satz verallgemeinert, indem sich ein beliebiges endliches System von Formen ersetzen läßt durch ein gleichwertiges System von “Normalformen”, d. h. von Formen, deren sämtliche lineare invariante Bildungen (die Grundform selbst je ausgenommen) identisch verschwinden. Oder, was dasselbe ist, eine Normalform \(\varphi\) genügt einem gewissen Systeme von Differentialgleichungen. Daraufhin gelingt es (§8), die Faltung aus gewissen “Grundfaltungen” zusammenzusetzen. Es war jede Faltung zweier kogredienten Reihen \(S^{\varrho}, T^{\varrho}\) als kogrediente definiert; ist hier im besonderen der Defekt gleich Eins, so entsteht eine “Grundfaltung vom Typus \(\varrho\)”. Dann ist die allgemeine Faltung zusammensetzbar aus den \(n-1\) Grundfaltungen vom Typus \(\varrho=1,2,\dots,n-1\); die sukzessive Anwendung der letzteren genügt daher zur Erzeugung aller invarianten Bildungen.
Der Beweis zerlegt sich in drei Teile. Unter Anwendung der symbolischen Identitäten werden erzeugt: 1. beliebige Faltungen vom Defekt 1 durch Grundfaltungen; 2. beliebige Faltungen vom Defekt \(\lambda\) durch kogrediente vom Defekt \(\lambda\) und durch beliebige Faltungen vom Defekt 1; 3. kogrediente Faltungen vom Defekt \(\lambda\) durch kogrediente vom Defekt \(\lambda-1\) und durch beliebige Faltungen vom Defekt 1.
Die so erhaltene Erzeugung der allgemeinsten Faltung aus Grundfaltungen ist, abgesehen von der Vertauschung der Reihenfolge, eine eindeutige, insofern jeder Faltung jeweils nur eine bestimmte, von \(\varrho\) abhängige Anzahl von Grundfaltungen vom Typus \(\varrho(=1,2,\dots,n-1)\) zukommt.
In §9 werden die in §6 eingeführten “Formenreihen” näher untersucht. Eine solche läßt sich jetzt schärfer erklären als die Gesamtheit der durch Faltung in sich aus der Ausgangsform entstandenen Formen, “in der Anordnung nach höheren Formen”. Hierbei sind höhere Formen solche mit höherer Faltung in sich, unter den Formen mit gleicher Faltung in sich speziell normierte. Für Formenreihen gelten dann genau die Reduktionssätze des binären und ternären Gebietes. Eine Form heißt “reduzibel”, wenn sie sich ausdrücken läßt durch Formen, die Invarianten zum Faktor haben, oder durch höhere Formen; eine reduzible Formenreihe wird als “Reduzent” bezeichnet. Dann lautet der Hauptsatz: Ist die Ausgangsform einer Formenreihe reduzibel dadurch, daß sie durch Faltung mit einem Reduzenten hervorgegangen ist, so ist die gesamte, aus dieser Ausgangsform entstehende Formenreihe reduzibel.
Es wäre wohl manchem Leser wünschenswert gewesen, wenn die abstrakten und nicht immer leicht verständlichen Ausführungen der vorliegenden wichtigen Abhandlung eine spezielle Erläuterung am Falle des quaternären Gebietes erfahren hätten.
Wie die Verfasserin dem Referenten mitgeteilt hat, ist die in §7 entwickelte Reduktion der allgemeinen Formen auf Normalformen bereits auf andere Weise von J. Deruyts (F. d. M. 24, 115, 1892, JFM 24.0115.01, JFM 24.0115.02) mittels seiner covariants primaires ausgeführt worden. Siehe auch den Enzyklopädieartikel I B 2 des Referenten S. 374, Note 298 und S. 377, Note 315. Allerdings muß Deruyts zum Beweise die \(p_{\varrho}\) in \(\varrho\) Reihen von Punktkoordinaten zerlegen, während der Beweis des §7 auch noch gilt, wenn die \(p_{\varrho}\) nur denselben Substitutionen unterliegen, wie die Determinanten einer Matrix, ohne selbst Determinanten zu sein, d. h. ohne den bekannten quadratischen Relationen zu unterliegen.

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Full Text: Crelle EuDML