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Wahrscheinlichkeitrechnung und Kollektivmaßlehre. (German) JFM 37.0262.02

Leipzig: B. G. Teubner. VIII u. 310 S. \(8^{\circ}\) nebst 18 S. Tafeln (1906).
Dieses Buch ist aus Vorlesungen entstanden, die der Verf. seit fast 25 Jahren über Wahrscheinlichkeitsrechnung gehalten hat. Die Anwendungen dieser Theorie auf Versicherungswesen, Statistik und Fehlertheorie sind nur gestreift, da sich diese Gegenstände schon längst zu selbständigen Disziplinen entwickelt haben. Dagegen wird die von Fechner begründete Kollektivmaßlehre um so ausführlicher behandelt, indem sie rund zwei Drittel des Werkes ausfüllt. Dies erscheint um so berechtigter, als Bruns an der mathematisch-analytischen Darstellung der Kollektivmaßlehre stark beteiligt ist, so daß hier ihre erste lehrbuchmäßige Behandlung geboten wird.
Die Wahrscheinlichkeitsrechnung tritt bei dem Verf. in der Hauptsache nur als die Untersuchung einer speziellen Klasse von Kollektivgegenständen auf, die sich als die verschiedenen Ziehungsresultate bei der Anwendung des Urnenschemas darstellen, das auch zur Behandlung von gruppenweise gezählten Ereignissen nutzbar gemacht wird. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung wird hiernach zu einer relativen Häufigkeitsrechnung, wodurch eine klare und kritische Untersuchung aller Hauptfragen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ermöglich wird und diese in ihren Ergebnissen sozusagen mathematische Gewißheit erhält.
Wie die auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung begründete Theorie der Beobachtungsfehler auf dem Gaußschen Fehlergesetz beruht, so trifft dieses auch bis auf wenige Ausnahmen für die Kollektivmaßlehre zu, wenn auch nur roh. Diese befaßt sich mit beliebigen Verteilungen von Kollektivgegenständen und sucht sie analytisch darzustellen. Diese Aufgabe hatte Fechner große Schwierigkeiten bereitet. Es ist das große Verdienst von Bruns, durch Aufstellung einer für beliebige Verteilungsfunktionen gültigen Reihe, deren Anfangsglied genau die durch das Gaußsche Gesetz geforderte Verteilung liefert, und deren Koeffizienten einfache Durchschnittswerte der zugrunde gelegten Verteilung sind, der Kollektivmaßlehre nunmehr eine ausreichende mathematische Basis gegeben zu haben. Die interpolatorische Darstellung willkürlich gegebener Kollektivwerte geschieht hiernach durch eine nach den Funktionen \(\varPhi ,\varPhi_1,\varPhi_2\) usw. fortschreitende Reihe, wo \(\varPhi\) das Gaußsche Fehlergesetz und \(\varPhi_1,\varPhi_2\) usw. seine 1., 2. usw. Ableitung bedeuten. \(\varPhi_1\) und \(\varPhi_2\) lassen sich durch passende Wahl des Nullwertes und der Maßbeziehungen des Argumentes zum Verschwinden bringen, wodurch die sogenannte Normalform der \(\varPhi\)-Reihe entsteht. Damit wird es dann leicht, alle auftretenden Begriffe, wie z. B. den der Streuung, analytisch zu definieren und die numerische Behandlung von Kollektivgegenständen nach bestimmten Vorschriften durchzuführen. Es ist demnach gezeigt worden, daß der Aufbau einer allgemeinen Formenlehre der Kollektivgegenstände sehr wohl durchführbar ist. Bruns schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Kollektivmaßlehre als Hülfsmittel der Untersuchung von Massenerscheinungen vor dem Mißgeschick bewahrt bleibe, dem die Wahrscheinlichkeitsrechnung infolge unkritischer Anwendung ihrer Lehrsätze eine Zeitlang unterworfen gewesen ist.
Wie man es bei dem Verf. gewohnt ist, so ist auch dieses Buch reich an kritischen Bemerkungen über den Wert der verschiedenen Aufgaben und an nützlichen Anweisungen zur praktischen und numerischen Durchführung der behandelten Probleme, wodurch das Studium des Werkes besonders reizvoll gestaltet wird. Den Schluß bilden Tafeln für \(\varPhi\) und seine Ableitungen bis zur sechsten.

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