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Leçons sur les fonctions de variables réelles et les développements en séries de polynômes. (French) JFM 36.0435.01

Paris: Gauthier-Villars. viii, 158 S. \(8^\circ\) (1905).
Der vorliegende Band ist bereits der sechste in der Reihe der “Monographien zur Funktionentheorie”, die wir É. Borel verdanken. Er wird, wie die vorhergehenden, von allen Mathematikern, die an der Entwicklung der Funktionentheorie Anteil nehmen, mit Freude begrüßt werden. Werden doch in diesen Monographien einzelne, in sich abgeschlossene Teile jenes Gebietes in der Weise dargestellt, daßmöglichst wenig Vorkenntnisse vorausgesetzt werden. Dazu kommt, daßBorel in hervorragendem Maße die Fähigkeit besitzt, für die Ergebnisse, die andere mit großer Anstrengung gefunden und oft recht umständlich hergeleitet haben, einfache und durchsichtige Beweise zu finden, und endlich sind nicht die zahlreichen neuen Ergebnisse zu vergessen, die Borel selbst hinzugefügt hat.
Der Inhalt des Bändchens bildet einen Teil der Vorlesungen über Reihen von Polynomen, die Borel im Winter 1903/04 an der École Normale gehalten hat, nämlich den Teil, der sich auf reelle Veränderliche bezieht; die Vorlesungen, die sich auf komplexe Veränderliche bezogen, sollen später veröffentlicht werden. Freilich läßt sich die Abgrenzung zwischen Reellem und Komplexen nicht immer scharf durchführen; denn, wie die dem Bändchen beigefügte Note von Painlevé zeigt, kann man z. B., von einer Methode des komplexen Gebietes, nämlich der konformen Abbildung ausgehend, zu wichtigen Ergebnissen auf dem reellen Gebiet gelangen, hieraus weitere Sätze für das komplexe Gebiet gewinnen und schließlich damit zu dem reellen Gebiet zurückkehren.
In dem ersten Kapitel kommt Borel auf die Mengenlehre zurück, deren Einführung in Frankreich durch seine “Leçons sur la théorie des fonctions” vom Jahre 1898 so sehr gefördert worden ist, und macht uns mit einigen der Fortschritte bekannt, die seitdem in der Mengenlehre erzielt worden sind, also etwa mit den Begriffen des Kondensationspunktes (Lindelöf), des verallgemeinerten Maßes bei linearen Punktmengen (Lebesgue), des intervalle contigu bei perfekten linearen Punktmengen (Baire).
Das zweite Kapitel bezieht sich auf die Stetigkeit und Unstetigkeit der Funktionen einer reellen Veränderlichen. Hier ist zu nennen die Verallgemeinerung des Satzes von der gleichmäßigen Stetigkeit einer in einem Intervall stetigen Funktion durch Baire und die Verallgemeinerung des Riemannschen Integralbegriffs durch Lebesgue.
Nach diesen Vorbereitungen wendet sich Borel im dritten Kapitel zur Betrachtung von unendlichen Reihen der Form: \[ u_1(x) +u_2(x) +\cdots +u_n(x)+\cdots, \] wo die Reihenglieder \(u_n(x)\) reelle Funktionen der reellen Veränderlichen \(x\) sind, die erstens beschränkte Funktionen und zweitens so beschaffen sein sollen, daßdie Reihe für die betrachteten Werte von \(x\) konvergiert. Sind die Reihenglieder in einem Intervall \(x= (a \dots b)\) stetig, so entsteht die Frage, wann auch die Summe \(S(x)\) der Reihe in diesem Intervall stetig ist. Die von Stokes und Seidel eingeführte gleichförmige Konvergenz ist dafür eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung; notwendig und hinreichend ist vielmehr eine Art der Konvergenz, die zuerst Arzelà betrachtet hat, und die Borel als quasigleichförmig bezeichnet. Es verdient hervorgehoben zu werden, mit welcher Eleganz Borel das Theorem von Arzelà herleitet, dessen Abhandlungen recht mühsam zu lesen sind. Arzelà hat auch zuerst in voller Allgemeinheit die Frage beantwortet, wann eine Summe \(S(x)\) integrabler Funktionen \(u_n(x)\) selbst integrabel ist. Bei der Integrabilität im Riemannschen Sinne ist dafür notwendig und hinreichend, daßdie Reihe in dem Intervall \((a \dots b)\) im allgemeinen quasiuniform konvergiert. Es ist bemerkenswert, daßbei der Integrabilität im Sinne von Lebesgue die Bedingung noch einfacher wird, indem dazu genügt, daßdie Summe \(S(x)\) wieder eine beschränkte Funktion wird. Während so die Frage nach dem Integral und nach der Integration einer unendlichen Reihe stetiger Funktionen zu einem befriedigenden Abschlußgebracht worden ist, sind wir über die Frage nach der Ableitung und nach der Differentiation einer solchen Reihe noch gänzlich im unklaren.
In dem vierten Kapitel wird die Darstellung stetiger Funktionen als Summen von Polynomen behandelt, und es werden zuerst in sehr lehrreicher Weise die verschiedenen Herleitungen vorgeführt, die einerseits Weierstraß, Picard, Lerch, Volterra mit transzendenten, andererseits Runge, Lebesgue, Mittag-Leffler mit elementaren Hülfsmitteln für den Satz gegeben haben, daßeine jede in dem Intervall \(( a \dots b)\) stetige Funktion \(S(x)\) sich als eine Summe von Polynomen darstellen läßt, die für jeden Bereich innerhalb des Intervalles gleichförmig konvergiert. Daßes unter den Darstellungen einer stetigen differenzierbaren Funktion \(f(x)\) in Form einer Summe von Polynomen \[ f(x)=u_1(x)+u_2(x) +\cdots \] stets auch solche gibt, bei denen die Gleichung gilt: \[ \frac{df(x)}{dx} = \frac{du_1 (x)}{dx} +\frac{du_2 (x)}{dx} +\cdots, \] hat Painlevé gezeigt. Nach Borel läßt sich eine jede stetige und in dem Intervall \((-1 \dots +1)\) beliebig oft stetig differenzierbare Funktion \(f(x)\) durch eine Reihe der Form: \[ f(x)= \sum_{n=0}^\infty (A_n x^n +B_n \cos nx +C_n \sin nx) \] in der Weise darstellen, daßalle Ableitungen von \(f(x)\) gleich sind den Summen der entsprechenden Ableitungen der Reihenglieder, und daßdie so erhaltene Entwicklung für jedes Gebiet innerhalb des Intervalles \((-1 \dots +1)\) gleichförmig konvergiert.
Es folgen Betrachtungen über die Lagrangesche Interpolationsformel, bei denen Borel sich mit Runge (F. d. M. 32, 272, 1901, JFM 32.0272.02) begegnet. Würde nämlich diese Formel gültig bleiben, wenn man zur Grenze für unendlich viele Ordinaten übergeht, so hätte man damit ein einfaches Mittel, eine stetige Funktion für das betrachtete Intervall in eine Summe von Polynomen zu entwickeln. Dies ist jedoch, wie ein einfaches Beispiel von Runge und ein verwickelteres, aber recht instruktives Beispiel von Borel zeigt, nicht der Fall.
Den Schlußdes Kapitels bilden Bemerkungen über das Problem von Tschebyschoff betreffend die ganze Funktion gegebenen Grades, die sich in einem gegebenen Intervalle von einer gegebenen Funktion am wenigsten unterscheidet; dabei werden die Untersuchungen von P. Kirchberger [Über Tchebychefsche Annäherungsmethoden. Göttingen. 96 S. (1902; JFM 33.0397.03)] herangezogen.
Das fünfte, kurze Kapitel hat die Darstellung unstetiger Funktionen durch Polynome zum Gegenstande. Borel begnügt sich hier damit, die Grundbegriffe zu entwickeln und den fundamentelen Satz von Baire auszusprechen; im übrigen verweist er auf die Leçons sur les fonctions discontinues dieses Forschers; einen einfachen Beweis für den Satz von Baire findet man in der Note, die Lebesgue zu dem Bändchen beigesteuert hat.

MSC:

26-01 Introductory exposition (textbooks, tutorial papers, etc.) pertaining to real functions