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Zur Theorie der Beugung ebener inhomogener Wellen an einem geradlinig begrenzten unendlichen und absolut schwarzen Schirm. (German) JFM 30.0745.03

Die von Sommerfeld herrührende Methode zur exacten Behandlung von Diffractionsproblemen (vergl. F. d. M. 27, 706 ff., 1896, JFM 27.0706.03) erweitert Voigt hier nach zwei Seiten, indem er einerseits statt eines unendlich dünnen und vollkommen reflectirenden Schirmes einen absolut schwarzen Schirm betrachtet und andererseits die auffallenden Wellen nicht mehr als homogen, sondern als inhomogen (von nicht constanter Amplitude) voraussetzt. Was den ersten Punkt betrifft, so hatte der Verf. bereits in seinem Compendium der theoretischen Physik (II, 1896) darauf aufmerksam gemacht, dass man einen dünnen, absolut schwarzen Schirm auffassen könne als einen Verzweigungsschnitt in einem mehrfachen Riemann’schen Raume, von dem ein Teil den physikalischen Raum darstellt. Er erörtert hier nochmals die Berechtigung dieser Auffassung und weist auf die Unbestimmtheit hin, die dadurch entsteht, dass der dem Problem zuzuordnende mehrfache Raum in einer Hinsicht willkürlich bleibt. Sodann wendet er sich dem speciellen Falle zu, dass der absolut schwarze Schirm eine Halbebene bildet, deren Begrenzungsgerade der Wellenebene parallel ist, dass ferner bei den inhomogenen Wellen die Geraden constanter Amplitude mit dem Rande parallel sind, so dass das Beugungsproblem nur von zwei Coordinaten abhängt, mithin an Stelle des Riemann’schen Raumes eine Riemann’sche Fläche tritt, die als zweiblättrig angenommen wird. Sind \(r\), \(\psi\) Polarcoordinaten auf dieser Fläche, so entspricht das eine (positive) Blatt \(0<\psi<2\pi\) dem physikalischem Raume, während in dem anderen (negativen) Blatte \(\psi\) zwischen 0 und \(-2\pi\) variirt. Der Verzweigungsschnitt, längs dessen beide Blätter zusammenhängen, ist stets ein vom Nullpunkte ausgehender Radius.
Der Differentialgleichung für die Lichtschwingungen, die dem Schirmrande parallel, also senkrecht zur Riemann’schen Fläche stattfinden, genügt nach Sommerfeld die complexe Function \[ \mathfrak F = K\sqrt{\frac i{\pi}}e^{i[2\pi t/\tau-\gamma]}\int_{- \infty}^\sigma e^{-i\xi^2}d\xi,\tag{1} \] n der \[ \gamma = \frac{2\pi r}{\lambda}\cos\psi,\quad\sigma = \sqrt{\frac{4\pi r}{\lambda}}\sin\frac12\psi\tag{2} \] ist, während \(K\), \(\tau\), \(\lambda\) reelle Constanten bezeichnen. Der reelle und der imaginäre Teil von \(\mathfrak F\) stellen auf den unendlich fernen Teilen des positiven Blattes geradlinige homogene Wellen dar, die normal zur \(x\)-Axe liegen und ihr parallel fortschreiten. Zugleich ist die positive \(x\)-Axe der Verzweigungsschnitt, und derselbe kann als schwarzer Schirm angesehen werden. Diese bekannte Lösung wird nun von Voigt dadurch modificirt, dass er in den Ausdrücken (2) \(\psi+i\alpha\) an Stelle von \(\psi\) setzt, wobei \(\alpha\) eine reelle Grösse bezeichnet. \(\mathfrak F\) bleibt auch jetzt eine Lösung der Differentialgleichung der Lichtschwingungen, und eine eingehende Discussion dieser Lösung für verschiedene Bereiche der Doppelfläche ergiebt, dass sie die Beugung ebener inhomogener Wellen an einem absolut schwarzen, ebenen, durch eine Gerade begrenzten Schirm darstellt. Legt man nämlich den Verzweigungsschnitt in die durch die Gleichung \[ \cos\overline{\psi} = \frac1{\cos(i\alpha)}\tag{3} \] bestimmte Richtung \(\overline{\psi}\), so kann man die Bewegung in hinreichend grosser Entfernung vom Ausgangspunkte im negativen Blatte als eine vom Nullpunkte ausgehende Kreiswelle ansehen, im positiven aber als die Superposition einer solchen mit einer inhomogenen geradlinigen Welle, die normal zur \(x\)-Axe liegt und parallel dieser Axe fortschreitet.
Indessen ist die aufgestellte Lösung nur mit einer gewissen Beschränkung benutzbar. Nimmt man z. B. die Richtung des durch (3) bestimmten Verzweigungsschnittes im ersten Quadranten, so würden im ganzen physikalischen Raume neben den vom Schirmrande ausgehenden Cylinderwellen ebene Wellen fortschreiten. Der absolut schwarze Schirm würde also in diesem Falle keinen Schatten werfen. Demgemäss repräsentirt bei der Beugung inhomogener ebener Wellen der Verzweigungsschnitt nicht in jeder beliebigen Lage einen absolut schwarzen Schirm; und es erhebt sich die Frage nach den Grenzen, innerhalb deren der Schnitt einen schwarzen Schirm darstellt. Zur Beantwortung dieser Frage ist in beiden Blättern der Doppelfläche die Untersuchung der normal zu jedem Radius verlaufenden Energieströmung erforderlich. Nur wenn von beiden Seiten die Energieströmung nach dem Schnitte hinfliesst, hat letzterer die verlangte Eigenschaft. Für den in Rede stehenden Energiestrom \(\Psi\) gilt die Gleichung \[ \Psi = -\operatorname{Re}\left(\frac{\partial\mathfrak F}{\partial t}\right)\cdot \operatorname{Re}\left(\frac{\partial\mathfrak F}{r\partial\psi}\right), \] wobei \(\operatorname{Re}\) den reellen Teil bezeichnet, und da \(\Psi\) eine periodische Function der Zeit ist, so kommt nur deren Mittelwert \(\Psi_m\) in Betracht. Die Discussion des resultirenden Ausdrucks von \(\Psi_m\) für verschiedene specielle Fälle ergiebt nun, dass es gewisse Radien giebt, bei denen \(\Psi_m\) mit dem Abstand vom Coordinatenanfang periodisch sich ändert. Ein Verzweigungsschnitt, der mit einem solchen Radius zusammenfällt, kann sicher nicht als schwarzer Schirm gedeutet werden; wohl aber kommt diese Eigenschaft einem Schnitte zu, der im positiven Blatte in der Richtung \(\psi=\frac32\pi\), die mit der Richtung \(\psi=-\frac12\pi\) im negativen Blatte parallel ist, verläuft. Für die letztgenannte Lage des Schnitts wird endlich die Intensität in dem positiven (physikalischen) Blatte berechnet und daraus der Verlauf der Beugungserscheinung abgeleitet, die sich übrigens merklich von der Erscheinung bei homogenen einfallenden Wellen unterscheidet.

Citations:

JFM 27.0706.03
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