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Von den Bewegungen und Umlegungen. (I. u. II. Abhandlung.). (German) JFM 23.0527.01

Die vorliegende Arbeit hat den Zweck, eine möglichst vollständige und systematische Theorie der Ortsveränderungen eines geometrischen Gebildes zu geben. Je nachdem das Gebilde in ein congruentes oder ein symmetrisches übergeführt wird, handelt es sich hierbei um eine “Bewegung” oder eine “Umlegung”. Die Gliederung des Stoffes ergiebt sich zunächst aus der Behandlungsweise, die in der ersten Abhandlung synthetisch, in der zweiten analytisch ist, unter Benutzung rechtwinkliger Parallel-Coordinaten. In zweiter Linie kommen die verschiedenen Gebiete: Gerade, Ebene und Raum in Betracht, innerhalb deren die Ortsveränderungen stattfinden, in dritter Linie die verschiedenen Arten der Bewegungen selbst, wozu auch der Unterschied zwischen endlichen und unendlich kleinen Bewegungen zu rechnen ist. – Durch die bisherigen Einzelarbeiten auf diesem Gebiete ist besonders die Theorie der Bewegungen bevorzugt und gefördert worden, während die Theorie der Umlegungen, namentlich im Gebiete des Raumes, in der Entwickelung zurückgeblieben ist. Doch dürfte diesen letzteren Untersuchungen die Arbeit des Hrn. Goursat über die Anwendung der orthogonalen Substitution [Ann. Éc. Norm. (3) 6, 9–102 (1889; JFM 21.0530.01) um so mehr zuzurechnen sein, da nicht nur die Wirkung der dort angewandten Operationen in Bewegungen und Umlegungen von Gebilden besteht, sondern auch, ganz im Geiste des Verfassers der vorliegenden Arbeit, von dem wichtigen Hülfsmittel der Transformationsgruppen umfangreiche Anwendung gemacht wird. Mit Recht bemerkt nämlich der Verfasser, dass diese Theorie, nebst denjenigen Methoden, welche die nichteuklidische Geometrie und die Systeme der höheren complexen Zahlen liefern, mit dem von ihm behandelten Gegenstande in naher Beziehung stehen, und es werden denn auch diesen Methoden ausgiebig und erfolgreich von ihm verwendet.
Im ersten Abschnitt werden die Chasles’schen Untersuchungen über Bewegung neu dargestellt und durch Discussion gewisser Ausnahmefälle vervollständigt; Bewegungen und Umlegungen werden in je zwei Transfomationen von bestimmter Art zerlegt, wobei für die Gebiete mit verschiedener Dimensionenzahl charakteristische Verschiedenheiten hervortreten, ein analoges Fortschreiten aber nur zwischen zwei Gebieten von \(n^{\text{ter}}\) und \((n+2)^{\text{ter}}\) Stufe zu beobachten ist. Zur Formulirung der Transformation dient die von Hrn. H. Wiener angewandte Bezeichnung. Von besonderem Nutzen erweist sich für räumliche Betrachtungen der vom Verfasser neu eingeführte Begriff der “Umschraubung”, der eine “Umwendung” (Drehung um \(2R\)) und eine Verschiebung in der Richtung der Umwendungsaxe in sich schliesst und dazu dient, congruente Raumgebilde zur Deckung zu bringen. Schraubungen (um andere Winkel), Drehungen und Schiebungen werden in ihren Combinatinen, ihren Wirkungen auf Raumgebilde und im Zusammenhange mit den ihnen entsprechenden geometrischen Transformationen betrachtet, ebenso ganze Gruppen von Bewegungen, die in einem charakteristischen Merkmal übereinstimmen. Wird ein Gebilde durch eine Bewegung in ein anderes übergeführt, so bilden die Verbindungslinien homologer Punkte den “Sehnencomplex” der Bewegung. Diese Definition führt weiter auf den von Möbius gefundenen Zusammenhang zwischen linearen Complexen und unendlich kleinen Bewegungen, sowie mit Hülfe der Darstellung von Kräften durch Linienteile (im Sinne Grassmann’s) auf die Zusammensetzung unendlich kleiner Bewegungen. Es folgt die Zerlegung der Umlegungen in Spiegelungen, der Bewegungen in Umlegungen, ferner die “Bewegungen im Strahlenbündel”, wobei die Strahlen oder Ebenen eines Punktes als Raumelemente auftreten, und, vermöge des Zusammenhanges der Strahlenbündel mit der nichteuklidischen Geometrie, sich das Resultat ergiebt, dass die Theorie der Bewegungen und Umlegungen im Raume als Grenzfall der Theorie der Bewegungen im Strahlenbündel angesehen werden kann.
Im zweiten Abschnitte wird gezeigt, wie den die Bewegungen im Raume darstellenden Transformationen acht homogene Parameter eindeutig umkehrbar zugeordnet werden können. Diese Zuordnung wird dann auf die Umlegungen ausgedehnt, wobei auch die einschlägigen Untersuchungen Euler’s berücksichtigt werden. Von abkürzender Wirkung auf die Rechnungen erweist sich die Theorie der höheren complexen Einheiten, insbesondere die Quaternionenrechnung. Drei Sätze, deren einer bereits von Rodrigues gefunden war, handeln von den Coefficienten der oben genannten Transformationen, die als sehr einfache lineare Functionen von sieben unabhängigen Verhältnisgrössen dargestellt werden. Auch hier wird wieder eine einfache geometrische und mechanische Deutung gewisser Parameter mit den Mitteln der Ausdehnungslehre erzielt. Im ganzen werden in diesem zweiten Abschnitt die gleichen Gegenstände behandelt wie im ersten, jedoch im Interesse der Kürze mit verschiedenen Einschränkungen, und im Interesse der Abwechselung so, dass die räumlichen Untersuchungen den auf Ebene bezüglichen vorangehen. Ein specielleres Eingehen auf die inhaltreiche Arbeit ist an dieser Stelle nicht möglich. Hinzuzufügen ist nur noch, dass auch zahlreiche Litteraturangaben den Leser über den Umfang dessen, was auf diesem Gebiete früher schon geleistet worden, orientiren.

MSC:

53A17 Differential geometric aspects in kinematics

Citations:

JFM 21.0530.01
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