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Groupes algébriques et corps de classes. (French) Zbl 0097.35604

Actualités Scientifiques et Industrielles. 1264. Publication de l’Institut de Mathématique de l’Université de Nancago. VII. Paris: Hermann & Cie. 202 p. (1959).
Die Theorie der algebraischen Gruppen gestattet es, eine Reihe von klassischen Problemen aus der Theorie der Funktionenkörper von einem neuen Gesichtspunkt aus zu sehen und zu verstehen. Dies gilt einerseits für das sogenannte verallgemeinerte Jacobische Umkehrproblem, das seinen Platz in der Rosenlichtschen Theorie der verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten gefunden hat. Es gilt andererseits für die Klassenkörpertheorie, die von Lang der allgemeinen Theorie der algebraischen Gruppen über endlichen Körpern untergeordnet worden ist. Die Langsche Theorie bezieht sich auf Funktionenkörper beliebiger Dimension; um im Falle der Dimension 1 die übliche Klassenkörpertheorie zu erhalten, müssen die verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten von Rosenlicht herangezogen werden.
Das vorliegende Buch gibt eine ausführliche und gründliche Darstellung der Theorien von Rosenlicht und von Lang, und der damit zusammenhängenden Fragen über algebraische Kurven einerseits und algebraische Gruppen andererseits. Es nimmt hinsichtlich der Grundkonzeption und des Inhalts eine bisher einmalige Stellung in der diesbezüglichen Literatur ein. Das Buch ist aus Vorlesungen des Verf. am Collège de France hervorgegangen. Der freie Vorlesungsstil, unterbrochen durch häufige Bemerkungen und Ausblicke, ist beibehalten worden. Daher ist dieses Buch nicht nur als Nachschlagewerk für den Fachmann, sondern auch als Einführung für den Lernenden von großem Wert. An Vorkenntnissen werden im wesentlichen die elementaren Grund-begriffe und Tatsachen aus der algebraischen Geometrie vorausgesetzt. Der Verf. benutzt die Sprache und den Kalkül der Garbentheorie, die er in seiner Arbeit [Ann. Math. (2) 61, 197–278 (1955; Zbl 0067.16201)] zum Aufbau der algebraischen Geometrie verwendet hatte. Jedoch wird auch derjenige, der die algebraische Geometrie von einem anderen Standpunkt her zu sehen gewöhnt ist, den Ausführungen dieses Buches ohne Schwierigkeiten folgen können. Gelegentlich wird die Theorie der Schnittmultiplizitäten benutzt. An anderen Stellen werden weitere, spezielle Resultate aus der algebraischen Geometrie oder der Algebra herangezogen; sie sind dann als solche gekennzeichnet und es wird Literatur angegeben. Das Buch besitzt gute Literaturhinweise.
Im einzelnen ist folgendes zu berichten: 1. über verallgemeinerte Jacobische Mannigfaltigkeiten: Es sei \(X\) eine projektive algebraische Kurve, von der stets vorausgesetzt werde, daß sie irreduzibel und singularitätenfrei ist. Es sei \(f: X\to G\) eine rationale Abbildung von \(X\) in eine kommutative algebraische Gruppe \(G\). Es gibt höchstens endlich viele Punkte von \(X\), in denen \(f\) nicht definiert ist; sei \(S\) die Menge dieser Punkte. Für die zu \(S\) fremden Divisoren \(D\) (d. h. \(D = \sum n_i P_i\) mit \(P_i\notin S)\) kann \(f(D) = \sum n_i f(P_i\)) als Element von \(G\) definiert werden. Man erhält eine homomorphe Abbildung der Gruppe der zu \(S\) fremden Divisoren von \(X\) in die algebraische Gruppe \(G\). Es wird nach dem Kern dieser Abbildung gefragt. Wenn \(G\) eine Abelsche Mannigfaltigkeit ist, so ist bekanntlich die Menge \(S\) leer, und der Kern enthält die Hauptdivisoren; also hängt \(f(D)\) nur von der Klasse des Divisors \(D\) ab.
Dieses Ergebnis überträgt sich auf den allgemeinen Fall in der folgenden Form: Unter einem Modul mit dem Träger \(S\) versteht der Verf. einen ganzen Divisor \(\mathfrak m\), der sich nur aus den Punkten ( = Primdivisoren) aus \(S\) zusammensetzt, aber auch jeden dieser Punkte wirklich enthält. Für eine rationale Funktion \(\varphi\) schreibt man \(\varphi\equiv 1 \bmod\mathfrak m\), wenn \(v_P (\varphi - 1) \ge n_P\), für \(P\in S\), wobei \(v_P\) die zu \(P\) gehörige ganzzahlige Bewertung bedeutet, und wobei \(n_P\) die Vielfachheit von \(P\) im Modul \(\mathfrak m\) ist. Die zu solchen Elementen \(\varphi\) gehörigen Hauptdivisoren werden kurz \(\mathfrak m\)-Hauptdivisoren genannt. Dann gilt: Es gibt stets einen Modul \(\mathfrak m\) mit dem Träger \(S\), derart daß \(f\) auf den \(\mathfrak m\)-Hauptdivisoren verschwindet, so daß also \(f(D)\) nur von der \(\mathfrak m\)-Divisorklasse von \(D\) abhängt. Dies ist der erste Hauptsatz.
Der zweite Hauptsatz gibt eine Art Umkehrung dieses Resultates, und zwar in der folgenden Form: zu vorgegebenem Modul \(\mathfrak m\) werden alle rationalen Abbildungen \(f: X\to G\) betrachtet, welche außerhalb des Trägers \(S\) von \(\mathfrak m\) definiert sind, und für welche \(f(D)\) für zu \(S\) fremdes \(D\) nur von der \(\mathfrak m\)-Divisorklasse von \(D\) abhängt. Unter diesen Abbildungen gibt es eine wesentlich eindeutig bestimmte „universelle“ Abbildung \(f_{\mathfrak m}: X\to J_{\mathfrak m}\). Das soll bedeuten: jedes \(f: X\to G\) läßt sich eindeutig faktorisieren in der Form \(f = \theta\circ f_{\mathfrak m}\), wobei \(\theta: J_{\mathfrak m}\to G\) bis auf eine Konstante ein rationaler Homomorphismus ist. Hierbei kann \(J_{\mathfrak m}\) mit der Gruppe \(C^0_{\mathfrak m}\), der \(\mathfrak m\)-Divisorklassen der zu \(S\) fremden Divisoren vom Grade \(0\) identifiziert werden.
In der Tat besteht der Beweis des zweiten Hauptsatzes im wesentlichen darin, auf der Gruppe \(C^0_{\mathfrak m}\) in kanonischer Weise eine Struktur als algebraische Gruppe zu erklären. Die \(J_{\mathfrak m}\) sind die „verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten“ der Kurve \(X\).
Es gibt noch einen dritten Hauptsatz, der die Struktur von \(J_{\mathfrak m}\) als Überlagerung der gewöhnlichen Jacobischen. Mannigfaltigkeiten \(J\) (d. h. der gewöhnlichen Divisorklassengruppe \(C^0\)) beschreibt; aus Platzgründen wird hier darauf verzichtet, diesen Satz im einzelnen zu zitieren.

2. Über die Klassenkörpertheorie: Diese hat zum Ziel die Beschreibung der Abelschen Überlagerungen \(X'\to X\) einer algebraischen Kurve \(X\) durch eine algebraische Kurve \(X'\) (d. h. der Abelschen Erweiterungskörper des Funktionenkörpers von \(X\)). Dabei bezieht sich die Bezeichnung „Abelsch“ auf die Galoissche Gruppe dieser Überlagerung (d. h. auf die Galoissche Gruppe der zugehörigen Körpererweiterung). Es sei \(S\) die Menge der zu einer solchen Überlagerung \(X'\to X\) gehörigen Verzweigungspunkte von \(X\). Es gibt dann einen Modul \(\mathfrak m\) vom genauen Träger \(S\) und eine Isogenie \(\theta: G' \to J_{\mathfrak m}\) (d. h. einen rationalen Homomorphismus einer algebraischen Gruppe \(G'\) auf \(\mathfrak T_{\mathfrak m}\) mit endlichem Kern), aus der sich die gegebene Abelsche Überlagerung \(X'\to X\) als das sogenannte „reziproke Bild“ bezüglich \(f_{\mathfrak m}\) bestimmt.
Das soll bedeuten: \(X'\) ist birational äquivalent der Mannigfaltigkeit \(X''\) aller Paare \((x, g')\) mit \(f_{\mathfrak m}(x) = \theta(g')\); dabei entspricht die Projektion \(X'\to X\) der natürlichen Projektion von \(X''\) auf \(X\). Wählt man in der obigen Konstruktion den Modul \(\mathfrak m\) minimal, so ist er eindeutig durch die Überlagerung \(X'\to X\) bestimmt, nämlich gleich dem Führer der zugehörigen Körpererweiterung. In der angegebenen Weise entsprechen sich die Abelschen Überlagerungen von \(X\) (d. h. die Abelschen Erweiterungskörper des Funktionenkörpers von \(X)\) und die Isogenien auf die verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten \(J_{\mathfrak m}\) von \(X\) umkehrbar eindeutig. Dies ist der 4. Hauptsatz.
Sein Beweis ergibt sich durch Kombination der ersten beiden Hauptsätze mit der Kummerschen Theorie bzw. mit der Artin-Schreierschen Theorie der Abelschen Erweiterungskörper.
Ein 5. Hauptsatz besagt: wenn die Abelsche Überlagerung \(X' \to X\) definiert und Abelsch über einem endlichen Körper \(k\) ist, so können bei der obigen Konstruktion der Modul \(\mathfrak m\) und die Isogenie \(\theta: G'\to J_{\mathfrak m}\) ebenfalls über \(k\) definiert werden.
Hieraus erhält man in einfacher Weise einen Zugang zur Klassenkörpertheorie für den Funktionenkörper \(K = k(X)\). Das beruht im wesentlichen darauf, daß jede über \(k\) definierte und Abelsche Isogenie \(\theta: G'\to J_{\mathfrak m}\) als Quotient der Isogenie \(\rho: J_{\mathfrak m}\to J_{\mathfrak m}\) erscheint; letztere ist definiert durch \(\rho(x) = x^{(q)} - x\), wobei \(q\) die Elementenanzahl von \(k\) ist und \(x\to x^{(q)}\) die Potenzierung aller Koordinaten von \(x\) mit \(q\) bedeutet. Hiernach erscheint die Galoissche Gruppe von \(\theta: G'\to J_{\mathfrak m}\) als Faktorgruppe der Galoisschen Gruppe von \(\rho: J_{\mathfrak m}\to J_{\mathfrak m}\); die letztere ist gleich der Gruppe \(J_{\mathfrak mk}\) der in \(k\) rationalen Punkte von \(J_{\mathfrak m}\). Hieraus ergibt sich durch Kombination mit dem 4. und 5. Hauptsatz der Hauptsatz der Klassenkörpertheorie in seiner klassischen Form, wenn man noch die bekannten, durch die Konstantenerweiterungen bedingten Schwierigkeiten berücksichtigt, welche dazu führen, daß man nicht nur wie oben Divisorklassen vom Grade \(0\), sondern von beliebigem Grade zu betrachten hat.
Es wird noch das Artinsche Reziprozitätsgesetz angegeben und durch sogenannte explizite Formeln ergänzt. Ferner wird der Anschluß an die von Artin und Tate herausgestellte kohomologietheoretische Begründung der Klassenkörpertheorie hergestellt. Dazu wird gezeigt, daß man eine Klassenformation im Sinne von Artin und Tate erhält, wenn man dem Körper \(K = k(X)\) die Galoissche Gruppe seiner maximalen Abelschen Erweiterung zuordnet.
Nach dem Vorbild von Lang wird die Klassenkörpertheorie soweit wie möglich auch für Mannigfaltigkeiten beliebiger Dimension entwickelt. Eine der dabei auftretenden Schwierigkeiten beruht darauf, daß man für höhere Dimension bisher noch kein Analogon der verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten (die dann verallgemeinerte Albanesesche Mannigfaltigkeiten heißen müßten) besitzt. Erwähnenswert ist, daß man im Falle höherer Dimension auch keine Klassenformation im Sinne von Artin und Tate erhält.


3. Weitere Resultate: wie schon oben gesagt, ist jede verallgemeinerte Jacobische Mannigfaltigkeit \(J_{\mathfrak m}\) eine Überlagerung der gewöhnlichen Jacobischen Mannigfaltigkeit \(J\), also einer Abelschen Mannigfaltigkeit. Dabei ist der Kern der Überlagerung \(J_{\mathfrak m}\to J\) eine lineare kommutative Gruppe. Hiervon ausgehend, werden im abschließenden Kapitel 7 allgemein solche kommutativen zusammenhängenden algebraischen Gruppen \(G\) untersucht, die sich als Überlagerung einer Abelschen Mannigfaltigkeit \(A\) mit linearem Kern \(B\) auffassen lassen. Die Typen solcher Überlagerungen bilden nach der allgemeinen Erweiterungstheorie eine Gruppe \(\operatorname{Ext}(A, B)\). Falls \(B = G_m\) die multiplikative Gruppe des Grundkörpers ist, so ist \(\operatorname{Ext}(A, G_m)\) isomorph zur Gruppe \(P(A)\) derjenigen Divisorklassen von \(A\), welche algebraisch zu \(0\) äquivalent sind, d. h. zur Picardschen Gruppe von \(A\). Falls \(B = G_a\) die additive Gruppe des Grundkörpers ist, so ist \(\operatorname{Ext}(A, G_a)\) isomorph zur eindimensionalen Kohomologiegruppe \(H^1(A, \mathcal O_A)\), wobei \(\mathcal O_A\) die Garbe der lokalen Ringe auf \(A\) bedeutet. Dieses Ergebnis kann verallgemeinert werden auf den Fall, in dem \(B\) unipotent ist. Im Hinblick hierauf wird die Struktur der kommutativen unipotenten zusammenhängenden Gruppen angegeben: das sind gerade diejenigen Gruppen, welche isogen sind zu einem direkten Produkt von Gruppen Wittscher Vektoren über dem Grundkörper.
Das letzte Kapitel enthält noch eine ganze Reihe von weiteren Resultaten über kommutative algebraische Gruppen, die zwar dem Fachmann im allgemeinen bekannt sind, aber in zusammenhängender Form bisher nicht publiziert sind. Dazu gehören unter anderem: die Bestimmung der Dimension der Kohomologiegruppen \(H^n(A, \mathcal O_A)\); der Satz, daß jede zusammenhängende kommutative algebraische Gruppe isomorph ist zu einer Faktorgruppe eines Produkts von verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten nach einer zusammenhängenden Untergruppe; der entsprechende Satz für Abelsche Mannigfaltigkeiten, wobei man nur gewöhnliche an Stelle der verallgemeinerten Jacobischen Mannigfaltigkeiten heranzuziehen braucht; der Satz, daß eine Abelsche Mannigfaltigkeit bei Charakteristik \(p > 0\) keine homologische Torsion besitzt, d. h., daß die Bocksteinschen Operatoren auf dem Kohomologiering \(H^*(A, \mathcal O_A)\) trivial wirken.

MSC:

14-02 Research exposition (monographs, survey articles) pertaining to algebraic geometry
14K30 Picard schemes, higher Jacobians
20G99 Linear algebraic groups and related topics
14H40 Jacobians, Prym varieties
11R37 Class field theory
11S31 Class field theory; \(p\)-adic formal groups

Citations:

Zbl 0067.16201